Ein etwas anderes Baukonzept

Frank Oldengott hat von Mai 2017 bis Juni 2018 die Entstehung des Gebäudes  fotografisch festgehalten.

Wir wollten es irgendwie anders machen – das war der Wunsch, der jede und jeden von uns beim Bau des Kulturquartiers inspiriert hat. Besonders wichtig war uns dabei, die negativen Auswirkungen auf die Umwelt so gering wie möglich zu halten und gleichzeitig unseren Anspruch an Ästhetik und Nützlichkeit zu erfüllen.

Wunsch und Wirklichkeit

Dabei sahen wir uns gezwungen zu sparen, da wir nur sehr wenig Geld zur Verfügung hatten und den weitaus größten Teil finanzieren mussten. So hatten wir bereits bei der Planung überlegt, wo wir unsere Wünsche erfüllen konnten (z. B. außergewöhnliche Gebäudeform, Holz statt Beton, keine Kunststoffe, recycelte Werkstoffe) und wo wir aus Kostengründen Kompromisse machen mussten.

Sehr gerne hätten wir zum Beispiel ein Massivholz-Haus gebaut oder uns der Strohballenbauweise bedient. Wir hatten uns viel vorgestellt, ausgemalt und gewünscht und wurden oft ziemlich hart auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.

Was herausgekommen ist kann sich trotz aller Schwierigkeiten wirklich sehen lassen! Und je länger das Haus steht, Menschen ein und aus gehen, desto mehr erkennen wir die Qualitäten unserer jahrelangen Arbeit.

Werkstoffe und Wertstoffe

Ein wesentliches Anliegen war uns, möglichst wenig graue Energie zu verbrauchen, und es lag auf der Hand, dass wir so wenig Beton wie möglich verbauen wollten. Allein die aus Holz mit Cellulosedämmung gefertigten Bodenplatten haben 12 Tonnen CO2 eingespart.

Auch die Wände und Decken wurden in Holzrahmenbauweise gefertigt. Die Innenwände aus Tischlersperrholzplatten haben optisch große Vorteile vor OSB (Grobspanplatten) und wurden von uns in Handarbeit mit einem hochpigmentierten weißen Hartwachsöl behandelt – sehr schön!

Bei den Fenstern und Türen war uns klar, dass die Rahmen aus Holz sein sollten. Neben gebrauchten Holzfenstern kam ein Pfosten-Riegel-System mit ebenfalls gebrauchten Öffnungselementen zum Einsatz; alles selbst gefertigt und von Hand mit Schafwolle, Hanf und Flachs gedämmt. Das konnten wir, auch gegenüber den hohen Wärmeschutzanforderungen, super umsetzen. Unser Haus hat nahezu Passivhausstandard erreicht!

Pfosten-Riegel-System mit aufgearbeiteten, »recycleten« Holzfenstern

Die Heizkörper für unser schönes Quartier stammen aus einem Kulturzentrum in Mecklenburg-Vorpommern, also aus zweiter Hand, doch in einem Topzustand.

Im WC und Bad war es uns wichtig, gestalterisch vom Standard abzuweichen: Ansprechende gebrauchte Keramik war schon lange vorhanden. Die Umsetzung, auch das Verlegen der bunten Fliesen aus Restbeständen in der Dusche, hat viel Zeit gekostet – und das Ergebnis: superschön!

Gebraucht und gut

Jeder Werkstoff sollte eine zweite Chance bekommen – bei uns war es oft das Holz: Treppenstufen aus übrig gebliebenen Schwellenhölzern. Hochbeete aus altem Fußbodenholz. Aber auch Basalt-Pflastersteine, die nach dem Rückbau einer Gartenfläche nicht mehr gebraucht wurden.

Viele hundert Meter Kabel aus Restbeständen haben bei uns eine neue Bestimmung gefunden. Dazu Steckdosen, Schalter, Lampen und Leuchten. Alles war schon mal für was anderes gedacht, jetzt ist es bei uns einer nachhaltigen Bestimmung zugute gekommen. Danke an Manfred Röthel! Er hat sich mit Zeit und Geduld immer wieder um die Elektrik gekümmert, und uns mit seinem Wissen und großzügigen Materialspenden unterstützt.

Auch unser Experimentalhaus mit Büro, ein mobiles Holzhaus, wurde zu großen Teilen aus wiederverwerteten Materialien gebaut. Fußboden, Fassade, Fenster, Innenausstattung, Elektrik. Es muss nicht immer neu sein, um gut zu sein!

Im gesamten Bauprozess haben wir konsequent Müll getrennt. Uns ist erst während der Bauphase richtig klar geworden, wie viel Verpackungsmüll beim Bau üblicherweise in Containern landet und schlussendlich als Restmüll auf der Halde. Niemand hat ja Zeit und Muße zu trennen. Wir hatten mit Anne Kossow die beste Mülltrennerin auf Deutschlands Baustellen an unserer Seite, danke Anne!

Haben wir ernst genommen:
Wert-Stoff-Tren-nung

Gemeinsam etwas (er)schaffen

Mit „wir“ sind übrigens immer eine ganze Menge Leute gemeint. Menschen, die mit ihrem Herzblut und ihrem Verstand hinter der Sache Kulturquartier stehen. Wir möchten hier nur einige nennen, die unserem Kernteam – Simon Dye, Thomas Grollmus, Rainer Kossow, Henrik Lau, Audrey Guttierez, Frank Oldengott, Beatrix Pluta und Thomas Schauder – über die Jahre besonders ans Herz gewachsen sind:

Johannes Korte, unser Zimmermann und Hauptentwurfsgeber: Thomas Grollmus hat ihn 2014 kennengelernt, als er mit seinem Lastenrad im Regionalexpress zu seiner Kundschaft unterwegs war. „Der hat was drauf“, dachte Thomas. Und es erwies sich, dass seine Intuition stimmte.

Peter Brodkorb, Architekt und Lehrer im Ruhestand: Peter hat uns von Anfang an begleitet. Rat- und tatkräftig war er immer da, wenn wir ihn brauchten; inzwischen ist er uns ein lieber Freund geworden.

Volker Brand, Allroundgenie: Er hat uns alle durch seine handwerklichen Fähigkeiten, seine Gelassenheit und nicht zuletzt seinen Humor begeistert.

Bei Laune bleiben

Auf jeder Baustelle kommt es zu Spannungen. Material fehlt, irgendetwas passt nicht, es regnet oder andere Umstände bringen alle Beteiligten an Grenzen. Daher war uns ein regelmäßiges, wenn möglich selbst gekochtes Mittagessen wichtig, um bei Kräften und bei Laune zu bleiben und eventuelle Unstimmigkeiten schnell auszuräumen. Auch Gespräche bei Kaffee und Kuchen lockern dann manche Verspannung und wir glauben, es hat der Sache gedient. Außergewöhnlich ist es allemal – und letztlich haben wir zusammen richtig viel geschafft!

Gemeinsame Mahlzeit auf der Baustelle

Der Weg zum Kulturquartier

2015

Die Kulturquartier Münster GmbH wird im Januar 2015 ins Leben gerufen. Die acht Gesellschafter*innen erwerben an der Rudolf-Diesel-Straße 41 in Münster ein Grundstück mit 2.630 Quadratmetern.

2017

Von Mai bis September 2017 entsteht das Gebäude “Gisèle” mit 220 Quadratmetern. Es bietet einen Bewegungsraum mit 67qm (der auch für Veranstaltungen genutzt wird), ein Refektorium mit Küche, WC, zwei kleine Multifunktionsräume und einen Bandraum.
Zum Namen “Gisèle”: Gisèle Rousset ist die Großmutter von Audrey Guttierez (Gesellschafterin der Kulturquartier Münster GmbH). Mme Rousset hat das Projekt als Erste finanziell sehr großzügig unterstüzt.